Es war kein Unfall - 25 Jahre nach dem Horrorfoul 11FREUNDE

Publish date: 2024-11-29

Es geschah an jenem 8. Juli. Genauer gesagt: Am 8. Juli 1982, vor einem Vier­tel­jahr­hun­dert also. Es geschah beim WM-Halb­fi­nale Frank­reich gegen Deutsch­land in Sevilla. Es geschah in der 57. Minute. Patrick Bat­tiston, damals noch Spieler bei AS St. Eti­enne, war erst sieben Minuten vorher für Ber­nard Genghini ein­ge­wech­selt worden. Er erhielt einen Steil­pass aus dem Mit­tel­feld und eilte allein auf das deut­sche Tor zu. Deutsch­lands Tor­hüter Toni Schu­ma­cher stürmt aus seinem Kasten, springt, als er sieht, dass er den Ball nicht mehr errei­chen kann, Bat­tiston an. Noch in der Luft dreht Schu­ma­cher ab und rammt Bat­tiston den Ell­bogen unter das Kinn. Ein übles Foul, das im Sta­dion keiner gesehen hat – auch Schieds­richter Corver aus den Nie­der­landen nicht, denn alle Augen folgen gebannt dem Lauf des Balles.

Erst später, als das Fern­sehen die Szene in einer End­los­schleife immer wieder zeigt, wird die Bru­ta­lität bewusst, auch wenn Schu­ma­cher sich viel später zu recht­fer­tigen ver­sucht, er habe sich abge­dreht, um ihn nicht mit seinen Knien zu ver­letzen. Bat­tiston ver­liert das Bewusst­sein, muss auf einer Trage vom Platz gebracht werden. Michel Pla­tini hält die Hand seines Freundes, läuft neben der Trage mit bis zum Spiel­feld­rand. Gefühllos sagt Schu­ma­cher nach dem Abpfiff über einen Sport­ka­me­raden, der zwi­schen Leben und Tod hing und dem er bei seiner Aktion zwei Zähne aus­ge­schlagen hatte: Unter Profis gibt es kein Mit­ge­fühl, aber ich zahle dem Bat­tiston die Jackett­kronen.“

Es war kein Unfall“

Der Satz empörte fast noch mehr als die Aktion an sich. Patrick Bat­tiston, der mitt­ler­weile das Aus­bil­dungs­zen­trum des Erst­li­gisten Giron­dins Bor­deaux leitet, erin­nert sich 25 Jahre später: Ich glaube immer noch, dass es ein gewolltes Foul war und kein Unfall. Aller­dings glaube ich nicht, dass er mich so schwer ver­letzen wollte. Es ist paradox: Natür­lich hätte ich es lieber gehabt, dass mein Schuss, der knapp am Pfosten vorbei rollte, zu unserer 2: 1‑Führung ins Tor geht als vom Platz getragen werden zu müssen. Ande­rer­seits muss ich mit dem milden Alters­blick von heute sagen: Dieses Foul hat mich bekannter gemacht als ich es als Fuß­baller je geworden wäre.“

Frank­reich kre­denzte damals Cham­pa­gner-Fuß­ball, Deutsch­land nur abge­stan­denes Wasser. Frank­reich ging in der Ver­län­ge­rung mit 3:1 in Füh­rung, musste aber noch das 3:3 hin­nehmen und verlor im Elf­me­ter­schießen. Bat­tiston, zwei Jahre später Euro­pa­meister: Wir waren zu uner­fahren.“ Der 56-malige Natio­nal­spieler, der am 12. März 50 Jahre alt geworden ist (ver­hei­ratet, zwei Söhne), hat sich Wochen später mit Schu­ma­cher zu einem Ver­söh­nungs­ge­spräch getroffen: Das Thema kochte in den Medien über, und wir sind von den Ver­bänden gebeten worden, uns zu einem Frie­dens­ge­spräch zu treffen. Dem haben wir dann im Inter­esse des Fuß­balls beide zuge­stimmt, aber Freunde sind wir nicht geworden. Wir sind uns dann zufällig manchmal bei Spielen begegnet, aber mehr als ein ´Guten Tag´ war da nicht.“

Bat­tiston ver­meidet es mög­lichst, gegen­über dem Nach­wuchs über seine erfolg­reiche Ver­gan­gen­heit als Fuß­baller zu reden: Das wollen die doch nicht hören.“ Hin­gegen ver­sucht er, ihnen Werte wie Demut und Respekt zu ver­mit­teln und ihnen klar zu machen, dass Erfolg ohne Arbeit nicht mög­lich ist: Die haben doch alles, die glauben, alles fällt ihnen in den Schoß. Sie haben ein Handy, sie haben das Internet, und dann glauben sie, Talent alleine reiche, um Erfolg zu haben. Ich ver­suche, ihnen klar zu machen, dass ohne Arbeit im Fuß­ball nichts funk­tio­niert – und im rich­tigen Leben übri­gens auch nicht.“ Und abschlie­ßend for­mu­liert Patrick Bat­tiston einen weisen Satz: Ich glaube, man muss im Leben ernst sein, darf sich aber nicht ernst nehmen. Das ist jeden­falls meine Phi­lo­so­phie.“

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